ens.ch - INDEX


main » sternwarte » lichtverschmutzung » presseberichte » GEDANKEN_ZUR_NACHT

 

Gedanken zur Nacht - von Matthias Zehnder

Lichtverschmutzung

Wissenschaftler von der italienischen Universität Padua haben zusammen mit dem amerikanischen National Geophysical Data Center (NOAA) zum ersten Mal einen Weltatlas der Lichtverschmutzung kreiert. Das Resultat liest sich dramatisch: 99 Prozent aller Europäer und Amerikaner leben des Nachts unter einem Himmel, der als lichtverschmutzt bezeichnet werden muss. Weltweit kann ein Fünftel aller Menschen die Milchstrasse nicht mehr sehen. Immer mehr Augen müssen sich nie mehr auf Dunkelheit umstellen: Auch nachts ist es einfach zu hell.

Die Lichtverschmutzung ist einfach zu erkennen: Stehen Sie einfach einmal nachts auf den Balkon oder in den Garten und versuchen Sie, ... zu erkennen. Ich kann mich gut erinnern, wie ich als Bub in den Sommerferien im Bündnerland, mit einer Sternkarte unter dem Arm, auf die frisch gemähten Wiesen gezogen bin, mich auf die Stoppeln gelegt und den Nachthimmel bewundert habe. Über meinem Kopf im Dunklen glänzten Myriaden von Sternen. Der grosse Bär war manchmal in all den gleissenden Sternen schwierig auszumachen. Wenn ich in das nächtliche Firmament blickte, glaubte ich manchmal zu spüren, wie sich die Erde unter mir drehte, wie sie durch den unendlichen, von fernen Lichtern gespickten Raum stampfte, ich hielt mich fest an den Stoppeln des Bündner Grases und hatte Angst, von dieser rollenden Erde in den Raum geworfen zu werden.

Wenn ich heute in unserem Garten auf den Rasen liege, brauche ich mich nicht mehr festzuhalten. Da oben glänzt nicht mehr so viel wie einst, der Himmel wölbt sich nachts nicht mehr in samtigem schwarz, er dehnt sich flach und langweilig in einem hellen Grau zwischen den Häuserdächern. Die Menschen haben sich ganz offensichtlich die Myriaden von Lichtern auf die Erde geholt – und dabei den Himmel verloren.

Wenn Sie Ihren eigenen Augen nicht trauen, können Sie es sich unter http://www.lightpollution.it/dmsp bestätigen lassen: Die Nacht ist lichtverschmutzt.

Das Wort "Lichtverschmutzung" erinnert zwar eher an Alexander Döblin oder an expressionistische Lyrik. Den Wissenschaftlern ist es jedoch ernst mit ihrer Diagnose: Die Lichtverschmutzung könnte dazu führen, dass der Mensch die Nacht verliert. Und das dürfte schwerwiegende biologische und kulturelle Folgen haben.

Mir scheint, es gibt noch eine, paradoxe Folge. Mein Zeichnungslehrer pflegte immer zu sagen: Wenn ihr etwas Helles malen wollt, müsst ihr darum herum dunkel malen. Daraus folgt, obwohl es paradox tönt: Wenn die Lichtverschmutzung die Dunkelheit vertreibt, ist es nie mehr hell auf der Welt.

Mit bestem Dank an :  Matthias Zehnder



main » sternwarte » light_pollution » presseberichte » GEDANKEN_ZUR_NACHT